Ride On – Die zweite Chance (2024)

Inhalt / Kritik

Lao Luo (Jackie Chan) war in Hongkong früher als Meister Luo bekannt. Für den todesmutigen Stuntman und sein treues Pferd Roter Hase, das er nach dessen Geburt vor der Exekution aufgrund einer Fehlbildung rettete, war kein Sprung zu gewagt. Dann aber änderte ein Unfall vor acht Jahren sein Leben. Er verlor seine Frau erst in einer Scheidung, dann durch ihren Tod. Kontakt zu seiner Tochter Xiao Bao (Liu Haocun) hat er auch nicht mehr. Mehr schlecht als recht schlägt er sich seither durch, Arbeit findet er kaum noch. Als er mit ein paar Schuldeneintreibern aneinander gerät, verschafft ihm die Auseinandersetzung letzten Endes wieder ein paar Engagements als Stuntman. Da Roter Hase gepfändet werden soll, wendet er sich hilfesuchend an Bao, die mittlerweile Jura studiert. Nach einigem Zögern rekrutiert sie ihren Freund Naihua (Guo Qilin), um dem fremdgewordenen Vater zu helfen. Auch übernimmt sie die Tätigkeit als seine Agentin, um seine Filmdrehs zu koordinieren. Die beiden nähern sich wieder an, doch je länger Luo seine riskanten Stunts durchzieht, desto stärker gehen die Meinungen der zwei auseinander, ob Roter Hase das alles wirklich mitmachen muss …

Ein Kampfmeister mit Pferdeliebe

1978 war dem chinesischen Kalender nach das Jahr des Pferdes. Es ist auch das Jahr, in welchem Jackie Chan – der 1954 geboren wurde, was ebenfalls das Jahr des Pferdes war – seinen großen Durchbuch in Hongkong hatte. Selbst wer Sie nannten ihn Knochenbrecher nicht gesehen hat, kennt vielleicht die ikonische Szene, in der die von Chan gespielte Figur im Rahmen ihres Trainings die Pferdestellung eingenommen hat. Dabei balanciert sie je eine mit Wasser gefüllte Schale auf ihren Oberschenkeln, den Schultern und ihrem Kopf. Diese wird in Ride On – Die zweite Chance in ähnlicher Weise rekreiert, doch dazu später mehr. Seinen eigentlichen Durchbruch hatte Chan mit dem kurz zuvor erschienenen Film Die Schlange im Schatten des Adlers, aber Sie nannten ihn Knochenbrecher übertrumpfte diesen was die Einnahmen anging noch einmal um Längen.

Die Filme etablierten den typischen Stil des akrobatischen Asiaten, Slapstickeinlagen mit Kung Fu und Comedy zu verbinden. In Hollywood konnte er dann erstmals 1994 mit Rumble in the Bronx für Furore sorgen, auch wenn es bis zum Jahre 2000 dauern sollte, bis er in Shang-High Noon wieder etwas mit Pferden zu tun bekam. Generell lassen sich die Vierbeiner recht häufig in seiner Filmographie finden. In Ride On – Die zweite Chance ist nun ein Pferd der Hauptdarsteller, doch auch dazu später etwas mehr.

Flotter Einstieg

Es dauert nur etwa fünf Minuten, bis in Ride On zum ersten Mal die Fetzen fliegen. Lao Luo gerät in eine Auseinandersetzung mit ein paar Schuldeneintreibern. Was die Choreographie anbelangt, lässt die knapp 90-sekündige Sequenz bei Jackie-Chan-Fans eigentlich keine Wünsche offen. Die Umgebung sowie greifbare Gegenstände werden sinnig eingebunden, mancher akrobatischer Akt bezüglich der Humoristik gekonnt eingesetzt. Natürlich hätte das alles länger sein können, aber an einer kleinen Aufwärmrunde zum Einstieg ist ja nichts verkehrt.

Während die zugrundeliegende Choreographie also zweifellos die eines typischen Jackie-Chan-Films ist, lässt sich nicht leugnen, dass die Umsetzung mit Rücksicht auf Chans Alter vorgenommen wurde. Er wirkt hier deutlich agiler als in der Kampfszene in Hidden Strike mit John Cena, welche immerhin ungefähr fünf Jahre zuvor gedreht wurde. In Anbetracht der Umstände ist es auch eine beeindruckende Darbietung, nur sollte niemand erwarten, dass das mit früheren Glanzstücken mithalten kann. Wer Advocatus Diaboli spielen möchte, der kann auf Kameraführung und Schnitt hinweisen, und daraus die Möglichkeit ableiten, dass Chan an mancher Stelle von einem Double ersetzt wurde. Mit solcherlei Firlefanz wollen wir uns hier aber nicht aufhalten.

Verweise auf das eigene Schaffen

Es ist zwar nicht die einzige Kampfszene im Film, doch generell ist Ride On kein Kampfkunststreifen. Dennoch handelt es sich eindeutig um einen Jackie-Chan-Film. Ein als solcher eingeordnetes Werk muss ein paar Merkmale vorweisen, allerdings nicht zwingend alle davon in sich vereinen. Chan selbst hat einmal sechs solcher Merkmale festgehalten, eine ausführliche Liste würde hier jedoch zu viel Platz wegnehmen. Dass ein alternder Actionstar eine Art selbstreferenziellen Film macht, ist in der Geschichte nicht ganz ohne Beispiel. In JCVD, dem vielleicht besten Film mit Jean-Claude Van Damme in einer Hauptrolle, spielt ebenjener eine Version seiner selbst. Es war eine selbstironische und ehrliche Performance.

Jackie Chan wählt eine andere Route, aber Lao Luo ist letzten Endes auch eine fiktionalisierte Version von Chan. Das wird spätestens in einer Szene deutlich, als seine Tochter sich ein Stuntreel von Lous früheren Erfolgen anschaut – welches aus Originalausschnitten von Jackie-Chan-Filmen besteht. Dem Älterwerden wohnt eine gewisse Melancholie inne, zumindest ab einem gewissen Zeitpunkt. Genauer gesagt in dem Moment, wenn der Geist merkt, dass der Körper nicht mehr so kann wie gewollt. Ride On zeigt das auf berührende und teilweise sogar auf zum Nachdenken anregende Weise. Auch der Konflikt zwischen Vater und Tochter ist emotional gut ausgearbeitet. Und das ist etwas, das nie ein zentrales Element eines Jackie-Chan-Filmes war, die Liste an Merkmalen in diesem speziellen Fall jedoch ideal ergänzt.

Ein Star im Hintergrund

Das gezeigte Stuntreel ist eine direkte Referenz, allerdings weist Ride On – Die zweite Chance zusätzlich einige indirekte Querverweise zu Chans Filmographie auf. Die eingangs erwähnte rekreierte Szene ist nicht die einzige ihrer Art. Die Kostüme, welche Lao Lou bei den verschiedenen Drehs trägt, laden dazu ein, sie den entsprechenden Jackie-Chan-Filmen zuzuordnen. Trotzdem spielt Chan sich hier nie in den Vordergrund. Genauer gesagt nimmt er sich sogar sehr zurück – lässt dem Pferd und seinen Mitschauspielern genügend Raum, sich zu entfalten. So kann dann eben der Eindruck entstehen, dass der tierische Begleiter hier der wahre Hauptdarsteller ist. Das mögen manche dem Film wieder negativ auslegen – in den letzten Jahren scheint es unter manchen Kritikern ein Sport geworden zu sein, Filme mit Jackie Chan zu verreißen. Das heißt nicht, dass Filme wie The Knight of Shadows ohne Schwächen wären, oder dass viele der moderneren chinesischen Produktionen auch nur annähernd mit den Klassikern aus den 1980er-Jahren mithalten könnten, aber es entsteht ab und zu doch der Eindruck, dass irgendetwas einfach nur aus Prinzip angekreidet wird.

So genau lässt es sich hier nicht feststellen, aber der letzte Film mit Jackie Chan, der in Deutschland im Kino anlief, war wohl The Foreigner. Wann das letzte Mal ein Jackie-Chan-Film im Kino gezeigt wurde, darüber kann der Rezensent nicht einmal mehr spekulieren. Hidden Strike wurde von den Lichtspielhäusern jahrelang abgelehnt, bis er schließlich Ende letzten Monats bei Netflix veröffentlicht wurde und sich für längere Zeit auf Platz 1 der meistgeschauten Filme in Deutschland halten konnte. Bei Ride On – Die zweite Chance kann sich jedoch leider nicht einmal so ein Quasi-Premierenfeeling einstellen, da er hierzulande direkt auf Disc beziehungsweise digital erschien. Wenn es auch rein filmtechnisch vielleicht kein Argument dafür gibt, wieso der Film zwingend auf der großen Leinwand gezeigt werden muss, so wäre das für Fans doch sicher ein ganz großartiges Erlebnis gewesen.

Credits

OT: „Long ma jing shen“
Land: China
Jahr: 2023
Regie: Larry Yang
Drehbuch: Larry Yang
Musik: Loudboy
Kamera: Ming Sun
Besetzung: Jackie Chan, Haocun Liu, Qilin Guo, Jing Wu, Joey Yung, Rongguang Yu, Andy On, Xiaoshenyang, Shi Yanneng

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