Als sie 1992 nach Amerika ging, war ihre Karriere auf einem weiteren Höhepunkt, und in Berlin ging gerade das Leben richtig los. Regie-Legenden wie Peter Zadek, Ivan Nagel, Rainer Werner Fassbinder und Margarethe von Trotta hatten ihr schon früh große Rollen anvertraut. Ob als Mieze in „Berlin Alexanderplatz“ oder als Rosa Luxemburg, ihr ausdrucksstarkes Gesicht und ihre besondere Stimme, in der immer ein leichter Zweifel zu liegen scheint, schienen unverbrüchlich auf deutsche Kinoleinwände und Bühnen zu gehören. Andere hätten den Moment ausgenutzt, um für sich das Maximum rauszuholen. Sie brach stattdessen mit ihren beiden Söhnen zu ihrem neuen Lebensgefährten nach Manhattan auf. Das war Abenteuerlust. Getriebenheit war es nicht.
„Natürlich war ich damals zerrissen und sah, dass nach der Wende etwas Neues losging, aber mein Leben fühlte sich zu saturiert an“, sagt sie. Den Preis als beste Schauspielerin hatte sie damals bereits auf mehreren Filmfestivals erhalten. Aufgebrochen, der eigenen Intuition folgend, ohne den Ausgang zu kennen, ist sie im Leben mehrfach. Immer noch mädchenhaft, natürlich und konzentriert sitzt sie am Küchentisch aus dunklem Holz. Eine Butterblume aus dem Garten bringt den Frühling ins Haus, der sich in der ruhigen Wohnstraße in Brooklyn in den aufblühenden Magnolien ankündigt.
Es ist nicht das Brooklyn der reichen Hipster mit ihren strengen Designregeln und Codes, sondern der Teil der – noch – Bruchstelle ist. In einem Schaukelpferd vor dem Kamin sitzt ein Teddy, obwohl die drei erwachsenen Söhne bereits alle aus dem Haus sind und eigene künstlerische Wege gehen. Auf einem Zeitungsstapel liegt eine vergilbte Ausgabe der „Daily News“. Präsident Obama lächelt: „Die ersten Tage im Leben des neuen Präsidenten“ titelt das Blatt. Der Kaffee dampft, und Barbara Sukowa will wissen, wie man in Washington über Donald Trump denkt. Es ist jetzt auch ihr Land. Sie nimmt jedoch die Andersartigkeit der amerikanischen Gesellschaft auch nach fast 25 Jahren noch wahr. Obwohl sie nirgendwo länger an einem Ort gelebt hat als auf den beiden Seiten des Hudson Rivers.
Als sie Anfang der 1990er mit Robert Longo ins Village nach Manhattan zog, war ihr späterer Mann schon ein international anerkannter Multimediakünstler, sie aber erst einmal Mutter von bald drei Kindern. Zeit für ihre Kinder zu haben und emotional präsent zu sein war ihr wichtiger, als jedes Angebot anzunehmen. Schulen und Kinderarzt zu suchen gehörte zu den leichteren Übungen. Die ungeschriebenen Gesetze zu verstehen, war schwieriger. Unbekümmert hängte sie die große Fotografie eines nackten Frauenhinterns, der von einer Feder zart berührt wird, ins Wohnzimmer: „Plötzlich bekamen die Kinder keinen Besuch mehr von Freunden. Bis ich kapiert habe, woran es lag“, erinnert sie sich lachend. Sie sprach mit den irritierten Müttern, entschuldigte sich, und das Bild wanderte ins Schlafzimmer. Aufgenommen hat es Ralph Gibson, der Porträtfotograf dieser Ausgabe.
Neue Hörgewöhnheiten
Bis heute wundert sie sich zum Teil über die unvermittelte Frage, wo sie ihren Mann kennengelernt habe. Die kann in Amerika durchaus von Wildfremden gestellt werden – und ist so erkenntnisorientiert wie die Frage nach dem Wohlbefinden. „Ich hab die Frage entweder komplett ernsthaft beantwortet oder die Leute abgebürstet. Beide Male hab ich mich über mich selbst geärgert“, gibt sie offen zu. Eine klassische Expat-Falle. „Bis ich verstanden habe, dass es einen höflichen Mittelweg gibt, hat es etwas gedauert.“ Mit freundlichen Worten wenig bis gar nichts preiszugeben ist eine Kulturtechnik, in der Deutsche nicht glänzen.
Kunst hingegen ist als Sprache universell. So kam es, dass Sukowa international mehrfach mit namhaften Symphonieorchestern und Dirigenten mit den Liedern von Schubert und Schumann aufgetreten ist, die in ihrer berührenden Interpretation eine neue Tiefenschärfe entfalten. Auch die atonalen Musikstücke von Schönberg gehören zu ihrem Programm. Selbst in Deutschland fordert Schönberg bis heute die Hörgewohnheiten von Musikliebhabern heraus. Doch ums Leichte und den einfachen Erfolg ging es der gebürtigen Bremerin noch nie. „Verzaubernd“ seien ihre Konzerte, lobte die New Yorker Presse, und „elektrisierend“.
Der Tod ihres Vaters
Wie sie sich die komplexen Partituren neben Dreharbeiten und Familienverantwortung angeeignet hat? „Ich bin ein harter Arbeiter“, sagt sie. Die erste Schönberg-Partitur sei am Ende der Einstudierungszeit völlig zerbröselt gewesen. „Ich habe jedes Mal wahnsinniges Lampenfieber“, gibt sie zu. Und dennoch gebe es kaum eine schönere Erfahrung, als mit einem Orchester und Chor Menschen die Musik nahezubringen. Ein Kritiker schrieb, man habe das Gefühl, Sukowa bewege die Musiker wie Marionetten an unsichtbaren Fäden. Doch manchmal verliert auch sie die Kontrolle. Als sie trotz erheblicher Bedenken das Krankenbett des Vaters kurz verließ, um in Kiel ein ausverkauftes Konzert mit Schubert-Liedern zu geben, versagte ihr beim Erlkönig bei der Zeile „Mein Vater, mein Vater, jetzt fasst er mich an“ fast die Stimme. Sie erkämpfte sie mit großer Willenskraft zurück. Und erfuhr später, dass ihr Vater genau in diesem Moment gestorben war. Eine Freundin tröstete sie: „Was gibt es Schöneres für deinen Vater, als dass du in seinem Todesmoment für ihn gesungen hast.“
Ihren großen Erfolg als Hannah Arendt hat ihr Vater nicht mehr erlebt. Als Margarethe von Trotta sich entschloss, einen Film über die streitbare Philosophin zu machen, war bald klar, dass Barbara Sukowa erneut die Richtige für die Bildsprache der Regisseurin war. Dass sie auf der Leinwand aber weitaus mehr als deutsches Autorenkino kann, zeigt sie gerade bei der amerikanischen Science-Fiction-Serie „12 Monkeys“, zu deren Stammbesetzung sie gehört. Gedreht wird in Toronto, ein knappes halbes Jahr, fast sieben Tage die Woche. „Wir Deutschen denken immer, wir arbeiten hart, aber die Amerikaner legen noch eine Schippe drauf. Und sind fröhlich dabei. Das gefällt mir sehr.“
Zur ersten Folge unserer „Auswanderer“-Serie mit Elisabeth von Thurn und Taxis geht es hier entlang.
Die zweite Folge mit Ute Lemper können Sie hier nachlesen.
Unser Porträt mit Roland Emmerich finden Sie hier.
Und für die vierte Folge sprechen wir mit Tobias Meyer.
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