Wenn Sie Salvador Dalí begegnet wären, gäbe es eine Frage, die Sie ihm hätten stellen wollen?
BARBARA SUKOWA: Ich hätte ihn nach seiner Beziehung zu seiner Frau befragt.
Warum nicht zu seiner Kunst?
BARBARA SUKOWA: Ich weiß es nicht, ob es etwas bringt, wenn Künstler etwas über ihre Bilder sagen. Dalí meinte, die Menschen würden ihn verstehen, aber die Kritiker nicht. Und da ist was dran. Man hat einen ganz guten Zugang zu seinen Bildern, weil wir alle träumen, und seine Gemälde haben ja viel mit Träumen zu tun. Das ist auch ein Grund, warum viele Leute mehr mit surrealistischer als mit abstrakter Malerei anfangen können. Wobei ich selbst da nicht festgelegt bin.
Dalís Frau Gala, die Sie im Film darstellen, galt als seine Muse. Warum sind eigentlich immer die Frauen die Musen und nicht die Männer?
BARBARA SUKOWA: Das ist ein ganz alter Begriff. Und zu der damaligen Zeit waren eben die Frauen in einer Lage, wo sie kaum die Möglichkeit hatten, Kunst zu machen, oder nicht erst genommen wurden, wenn sie das getan haben. Das traf leider auch auf die Filmbranche zu. Ich weiß noch, wie schlecht Margarethe von Trotta, mit der ich viel gearbeitet habe, Anfang der 70er-Jahre behandelt wurde – auch von den Kritikern. Bei ihrem ersten Film fragte der Produzent ihren damaligen Mann Volker Schlöndorff, ob er sich nicht im Hintergrund bereithalten könnte, falls es nicht klappt.
Aber dem ist jetzt doch nicht mehr so ...
BARBARA SUKOWA: Das hat sich wahnsinnig geändert. Inzwischen gibt es viele weibliche Filmemacher. Diese Behandlung früher hatte auch damit zu tun, dass die Frauen damals eben weicher, mehr zugetan und eher fürsorglich waren.
Sie begannen Ihre eigene Schauspielkarriere ebenfalls in den 70ern. Wären Sie gerne jünger, damit Sie jetzt in die Branche neu einsteigen könnten, nachdem es für Frauen leichter geworden ist?
BARBARA SUKOWA: Das möchte ich nicht. Ich bin froh, dass ich zu einer anderen Zeit anfangen konnte. Ich hätte große Schwierigkeiten mit diesen ganzen sozialen Medien. Ich bin nicht jemand, der sich gerne in der Öffentlichkeit zeigt – mit seinen privaten Details schon gar nicht. Ich möchte natürlich, dass sich viele Leute meine Filme angucken, sonst würde ich nicht mit Ihnen hier sitzen. Aber mir ist die Arbeit an sich wichtig. Der ganze andere Teil, diese Selfies, oder diese Aufnahmen von dem, was man isst und trinkt und anzieht, das wäre nichts für mich. Als junger Mensch wäre ich mit dieser ganzen Selbstdarstellung nicht klargekommen.
Gibt es denn Musen, gleich welchen Geschlechts, die Sie bei Ihrer Karriere inspirierten?
BARBARA SUKOWA: Ich habe die Inspiration von den Leuten genommen, mit denen ich gearbeitet habe. Dazu zählen natürlich die Regisseure. Ich habe das wahnsinnige Glück gehabt, dass ich mit so tollen Leuten arbeiten konnte. Wie groß dieses Glück war, ist mir erst in der letzten Zeit so aufgegangen. Ich hatte mit so vielen guten Menschen zu tun, die teilweise Freunde geworden sind. Wenn ich mit jemand spiele, dann inspiriert mich wiederum der Mensch. Denn das Wichtigste beim Spielen ist das Zuhören. Wenn ein Ben Kingsley als Dalí da gestanden ist, dann hat mich das für meine Rolle als Gala inspiriert. Ähnliches ist bei anderen Rollen passiert.
Und mit welcher Art von Regisseurin oder Regisseur arbeiten Sie gerne zusammen?
BARBARA SUKOWA: Was ich schön finde und brauche, ist jemand, der mir freien Raum lässt, sodass ich mich ausprobieren kann. Ich mag nicht mit Leuten arbeiten, die einem genau sagen, wie man die Rolle spielen soll. Aber die gibt es kaum noch. Ab und zu versucht es jemand, aber die merken schnell, dass das nicht so gut klappt. Man muss Schauspielern einen gewissen Raum lassen, wenn man etwas haben will, was eine gewisse Spontaneität und Natürlichkeit besitzt. Ein Film hat ja keine durchgestalteten Figuren wie im Theater, wo es eine gewisse Künstlichkeit gibt.
Inzwischen haben Sie die 73 erreicht, erhielten dieses Jahr auch beim Filmfest München einen Preis für Ihr Lebenswerk. Wie stark ist Ihr Kreativitätsdrang noch ausgeprägt?
BARBARA SUKOWA: Ich gebe mir regelmäßig Ruheeinheiten, und dadurch entsteht dieses Bedürfnis immer wieder neu. Wobei es zugegebenermaßen nicht ganz einfach ist, Ruhe zu finden. Das tägliche Leben bringt viele Aufgaben. Es kommen immer Dinge auf mich zu – etwa wenn mir Regisseure ihre Bücher schicken.
Ist die Intensität Ihres Lebens genauso hoch wie vor zehn oder 20 Jahren?
BARBARA SUKOWA: Es ist etwas weniger intensiv, weil ich keine kleinen Kinder mehr habe. Meine Kinder lagen auch noch weit auseinander. Wenn Sie einen Zwei- und einen Dreijährigen und noch dazu einen Teenager haben, sind das zwei Welten, die sich nicht so leicht zusammenbringen lassen. Das zu organisieren war schon ganz anstrengend. Meine Schauspielerfreundinnen und ich fragen uns, wie wir unsere Familien neben der Arbeit großgezogen haben.
Sowohl in „Dalíland“ wie in Ihrem zweiten Film, „Enkel für Anfänger“ spielen junge Protagonisten mit ihren Sichtweisen eine zentrale Rolle. Inwieweit holen Sie sich Inspiration vom Nachwuchs?
BARBARA SUKOWA: Wenn man Filme macht, ist man immer mit jungen Menschen zusammen. Inzwischen bin ich bei Drehs oft die Älteste. Ich habe gute Beziehungen zu den jungen Kollegen, und da entwickeln sich auch Freundschaften. Das läuft ganz organisch ab.
Gibt es Denkweisen der nachkommenden Generationen, die Sie nicht verstehen?
BARBARA SUKOWA: Es gibt Sachen, die man vielleicht anders sieht. Oft wollen sich junge Menschen mit etwas identifizieren, was größer ist als sie. Manches würde ich heute vielleicht nicht so sehen, aber in dem Alter war ich ähnlich gestimmt. Es ist als völlig okay, dass sie manche Dinge anders bewerten und dafür auch kämpfen.
Sprechen Sie unter anderem die Klimabewegung an?
BARBARA SUKOWA: Es gibt ja ganz verschiedene Bewegungen, auch LGBTQ und noch ein paar Buchstaben mehr. Und ich finde gut, dass das alles in Bewegung ist. Das fällt natürlich manchmal radikaler aus, als es letzten Endes notwendig ist. In meiner Jugend wurde die ganze Nazizeit aufgearbeitet, und wir haben gesagt, ‚trau keinem über 30‘. Insofern gucke ich mir Bewegungen an und denke ‚Okay, ihr macht euer Ding, und ich habe damit nicht mehr so viel zu tun‘.
Treten Sie denn noch für ein größeres Ganzes ein?
BARBARA SUKOWA: Nicht in politischer Hinsicht. Ich bin immer dafür eingetreten, dass man andere Menschen mit Würde behandelt. Dass jeder Mensch ein Recht hat, gehört zu werden. Das ist das Wichtigste, und das geht momentan ein bisschen unter. Die Menschen hören sich leider irgendwie nicht mehr zu. Aber ich muss wiederum an meine eigene Jugendzeit zurückdenken. Da war ich eben genauso drauf. Ich habe auch nicht zugehört und wusste alles besser. Ich habe meine Meinung gehabt, und die habe ich lautstark vertreten. Junge Leute formen sich oft eine Meinung, indem sie erst mal etwas anderes ablehnen. Jetzt, wo ich älter bin, bin ich der Auffassung, es wäre wahrscheinlich produktiver, wenn wir uns alle mehr zuhören, den anderen ernst nehmen und versuchen, daraus irgendwelche Lösungen zu finden.
Könnten Sie sich vorstellen, aus den USA wieder nach Europa zu wechseln?
BARBARA SUKOWA: Vorstellen kann ich mir alles. Aber ganz zurückzugehen finde ich immer schwierig, in jeder Form. Was man schon gemacht hat, will man nicht wiederholen. Aber ich bin ja oft in Europa und fühle mich dem Kontinent noch ganz verbunden, weil ich hier meine wichtigsten Rollen gespielt habe. Ja, ich bin Europäerin, da führt kein Weg daran vorbei. Aber ich liebe es auch, in Amerika zu sein. Ich finde es inspirierend, diese zwei Welten zu haben, die man immer wieder vergleichen kann.
Davon abgesehen sind Sie noch für karitative Organisationen unterwegs. Was bedeutet Ihnen das?
BARBARA SUKOWA: So viel habe ich gar nicht gemacht. Mit einer Einrichtung, hauptsächlich Leuten aus Singapur und Hongkong, bin ich nach Ladakh in den Himalaja gegangen. Wir haben Medikamente für Augenkrankheiten in diese ganz entlegenen Dörfer gebracht und über Augenhygiene aufgeklärt. Diese Menschen kennenzulernen, die ohne Elektrizität und die verschiedenen Errungenschaften der Zivilisation leben, und zu sehen, wie fröhlich sie sind, war sehr wichtig. Es war inspirierend, dass man mit so wenig leben und glücklich werden kann. Das hatte ich mir zwar schon gedacht, aber dort wurde mir das so richtig vor Augen geführt. Nach dieser Tour kam dann die Pandemie, und danach habe ich mir das Bein gebrochen. Ich weiß nicht, ob ich so etwas Ähnliches noch einmal schaffe.
Haben Sie Ihren Beinbruch mit Gleichmut getragen?
BARBARA SUKOWA: Manchmal wurde ich schon ungeduldig. Es war ja schon schwierig genug, mir eine Tasse Kaffee zu machen. Dabei ist das nichts im Vergleich zu den Menschen, die so etwas auf Dauer erdulden müssen. Ich habe eine große Bewunderung für Leute, die mit so einer Behinderung durchs Leben gehen. Ich habe jedenfalls gelernt, dass ich ein bisschen aufpassen muss und nicht mehr so schnell gehen darf. Aber ich dachte mir, besser breche ich mir jetzt ein Bein als mit 85.
Zur Person
Mit Rollen für Rainer Werner Fassbinder und Margarethe von Trotta begann für Barbara Sukowa eine Weltkarriere. Die gebürtige Bremerin studierte Schauspiel in Berlin, war an verschiedenen Theatern engagiert und stand Anfang der 1980er-Jahre im Fernsehmehrteiler „Berlin Alexanderplatz“ erstmals vor der Kamera. Sie erhielt weitere Rollen und Auszeichnungen, unter anderem für ihr Schauspiel in „Die bleierne Zeit“ und „Rosa Luxemburg“ von Regisseurin Margarethe von Trotta. Die 73-Jährige ist mit dem US-Fotografen Robert Longo verheiratet, hat drei Kinder und wohnt in New York. Seit Donnerstag spielt Sukowa in „Dalíland“ die Ehefrau des exzentrischen Malers Salvador Dalí an der Seite von Ben Kingsley. Zeitgleich ist sie in der deutschen Komödie „Enkel für Fortgeschrittene“ zu sehen.